Einleitung und das Konzept der Gruppendynamik

Dieser Text ist der Freude in der Gruppe gewidmet. Der Magie, die in den Zwischenräumen entsteht, wenn Menschen gemeinsam etwas kreieren.

Die Freude ist etwas, was in Cohousing-Projekten immer wieder aufblitzt, sich aber durchaus auch mit anderen Phasen abwechselt. Ob die Freude überwiegt, hängt davon ab, wie typische Grundmuster in Ihrer Gruppe gestaltet und gelöst wurden. Um diese Grundmuster soll es hier gehen. Hierfür stelle ich Ihnen jetzt ein Konzept aus der Gruppendynamik vor.

Gruppendynamik untersucht die Muster, nach denen Prozesse innerhalb einer Gruppe von Personen stattfinden. Als erster hat Kurt Lewin den Begriff Gruppendynamik 1939 geprägt. Eine aktuelle gute Einführung finden Sie bei König, O. und Schattenhofer, K. (2015): „Einführung in die Gruppendynamik“ Carl Auer Verlag.

Durch die Gruppendynamik haben wir eine mentale Landkarte. Wie bei jeder mentalen Landkarte liefert diese uns nur eine Annäherung an die Wirklichkeit und darf nicht mit der Wirklichkeit verwechselt werden. Mit diesem Bewusstsein für die Grenzen, hilft uns die mentale Landkarte im konkreten Fall mehr zu verstehen und nach guten Lösungen zu suchen.

Die Gruppendynamik unterscheidet zwischen den Eigenschaften und Fähigkeiten der Gruppe und den Eigenschaften und Fähigkeiten der einzelnen Gruppenmitglieder. Das heißt aber nicht, dass die Summe der einzelnen Eigenschaften und Fähigkeiten, die der Gesamtgruppe ergibt. Die Gesamtgruppe ist mehr. Das liegt daran, dass in der Gruppe ein Prozess stattfindet.

Als Gruppe entwickelt sich mit der Zeit

  • eine Wir-Gefühl
  • ein System gemeinsamer Normen und Werte als Basis der Kommunikations- und Interaktionsprozesse
  • Ein Geflecht aufeinander bezogener Rollen, die auf das Gruppenziel ausgerichtet sind

(vgl. König, O. und Schattenhofer, K. 2015, S.15)

Um diesen Prozess förderlich aus Gruppensicht zu gestalten, hat die Gruppendynamik die Beobachterposition entwickelt. Aus dieser Beobachterposition reflektieren die Gruppenmitglieder ihren Prozess anhand von vier Dimensionen.

  • Oben/Unten: Wie ist Macht und Einfluss in der Gruppe verteilt? Nach welchen Regeln? Ist es gut, so wie es ist? Warum ist es gut, so wie es ist?
  • Drinnnen/Draußen: Wer gehört zur Gruppe? Wie sind die Eintrittsregeln? Wer steht mehr in der Mitte und wer eher am Rand? Warum? Fühlen sich die Beteiligten wohl, so wie es ist? Oder gibt es Wünsche etwas zu ändern? Wie kann es sich ändern?
  • Nah/Fern: Wie intim sind die Gruppenmitglieder miteinander? Stimmt das Maß an Nähe und Distanz? Werden die individuellen Grenzen respektiert?
  • Aktualisierung lebensgeschichtlicher Erfahrungen im Gruppenprozess: Diese Dimension schaut auf das Individuum. Ein Beispiel: Ein Gruppenmitglied, nennen wir ihn Hans, ist der Älteste von vier Geschwistern und hat gelernt, viel Verantwortung zu übernehmen. Immer wenn etwas Unangenehmes zu erledigen ist, kann sich der Rest der Gruppe darauf verlassen, dass Hans diese Aufgabe erledigt.

(vgl. König, O. und Schattenhofer, K. 2015, S. 35 ff.)

Nachdem wir diese vier Dimensionen kennengelernt haben, begeben wir uns jetzt auf eine Reise aus der Sicht der Beobachterposition. Wir schauen mit dieser Brille auf die Phänomene, die einem in Cohousingprojekten begegnen können:

  • Was sind typische Muster, die in einem Cohousingprojekt auftauchen können?
  • Wie können diese Muster durch die Gestaltung des Gruppenprozesses förderlich gestaltet werden?

In dieser Ausgabe erfahren Sie mehr aus der Sicht der Beobachterposition Oben/Unten. Wir schauen auf das Thema Macht und Einfluss. Die anderen Beobachterpositionen folgen zu einem späteren Zeitpunkt.

Hinweis: Im Folgenden wird es teilweise persönlich. Die Zitate sind original, aber der Kontext wurde anonymisiert. Sie können nicht erkennen, aus welchem Cohousingprojekt welches Zitat stammt.

Die Verteilung von Macht und Einfluss in der Gruppe

Selbstwirksamkeit und das gemeinsam auf Augenhöhe gestalten, sind hohe Werte für Menschen in Cohousingprojekten. Dies lässt sich ganz allgemein so sagen. Und trotzdem gibt es Unterschiede, wieviel Einfluss der Einzelne hat und nicht alle sind gleich. Das ist auch nicht wirklich schlimm, wenn diese Tatsache transparent ist und akzeptiert wird.

Vier Antworten habe ich auf die Frage bekommen, wovon die Macht des Einzelnen beeinflusst wird:

  • Häufig haben die Gründer als Initiatoren eine Sonderrolle
  • Die Dauer der Zugehörigkeit: Je länger jemand da ist, umso mehr zählt ihr/sein Wort
  • Die Intensität der Mitarbeit: Jemand, der sich intensiv in den Arbeitsgruppen einbringt, hat mehr Einfluss.
  • In bestimmten Phasen, insbesondere während der Bauphasen, kann auf die Meinung derer mit spezifischen Fachwissen mehr gehört werden.

Aber Achtung, es heißt nicht im Umkehrschluss, dass jemand, der lange da ist und im Zweifelsfall immer den Abwasch macht, in einer Entscheidungssituation besonders gehört wird. Das hängt auch von der jeweiligen Persönlichkeit ab.

Bevor ich gleich die vier Einflussfaktoren vertiefe, nochmal etwas Grundsätzliches: Die Frage danach, was meine Position zu diesem Thema ist.

In der Aufstellungsarbeit, wo auch Rangunterschiede deutlich werden, gibt es so einen Moment, wo alle im Raum merken, jetzt ist es stimmig. Auch die Stellvertreter an den unterschiedlichen Positionen haben sich entspannt. Und doch ist ein Oben und Unten oder ein Nah und Fern in der Aufstellung sichtbar. Es passt aber für die Einzelnen und die ganze Gruppe. Dies ist mein erstes Kriterium. Das zweite Kriterium ist Beweglichkeit. Das System an sich lässt Veränderung zu. Es können neue Menschen in verantwortliche Positionen kommen. Das dritte Kriterium ist die Handlungsfähigkeit der Gruppe. Die Gruppe ist fähig, in einer angemessenen Zeit Entscheidungen auch zu komplexeren Themen zu treffen.

Die Sonderrolle der Initiatoren

Diese Sonderrolle gab es nicht immer. Manchmal waren es von Anfang an mehrere, die gemeinsam an den Start gegangen sind und es war eine relative Beweglichkeit im Ein- und Austritt, bis das gemeinsame Startsignal gegeben wurde. Oder es gibt Projekte, aus denen sind die ursprünglichen Initiatoren relativ früh wieder ausgeschieden, weil das Cohousingprojekt sich in eine andere Richtung entwickelt hat, als sie es ursprünglich gewollt haben. Im Nachgang hat dann die Gruppe weitergemacht.

Das Folgende bezieht sich auf die Cohousingprojekte, wo es einen Initiator oder ein Initiatorenpaar gibt, die eine herausragende Rolle hatten. Die herausragende Rolle kommt daher, weil es ohne sie dieses Projekt nicht gäbe. Dies kann unterschiedliche Gründe haben.

Eine Möglichkeit ist, dass sie über viele Jahre die Idee eines Cohousingprojektes verfolgt haben, Wissen gesammelt haben, Kontakte geknüpft haben und dann in Führung gehen und Leute zusammentrommeln um den Gründungsprozess zu starten. Oder sie kaufen ein Grundstück und schaffen damit eine wesentliche Voraussetzung. Oder sie entwickeln gemeinsam als Paar das Konzept und treffen im Vorfeld wesentliche Entscheidungen, so wie es als Aufgabe für die Pioniergruppe beschrieben wurde und suchen dann im Nachgang über Anzeigen Leute, die in das Projekt einsteigen wollen.

Es ist wichtig zu wissen, dass unabhängig davon, ob die Initiatoren es wollen, das Thema „Macht und Einfluss“ im Raum steht. Mit unabhängig davon, ob sie es wollen, meine ich, dass sie auf jeden Fall beäugt werden, ob sie sich durch ihre Sonderrolle Vorteile verschaffen wollen, oder bei entscheidenden Fragen erwarten, das letzte Wort zu haben. Auch können lebensgeschichtliche Themen von Projektmitgliedern rund um Autoritätskonflikte aktiviert werden, ohne dass die Initiatoren da wirklich einen eigenen Anteil dran haben.

Ja, was würde ich jemanden raten? Natürlich erst mal, dass er sich nicht irgendwelche Privilegien erhoffen darf, weil er der Initiator ist oder der Gründer ist. Dass auf keinen Fall. Das war mein erster Fehler, den ich begangen hatte … und … Man ist der, ja, wo die anderen immer warten, will der jetzt mehr oder so, da muss man sehr aufpassen, dass man da nicht als einer in der Art angesehen wird. Sich lieber auch ein bisschen zurücknehmen, auch teilweise, wäre gar nicht schlecht.

Herausfordernd für Initiatoren ist es, in eine moderierende Rolle hineinzuwachsen oder diese Kompetenz gleich mitzubringen. Dies ist zumindest in der Anfangsphase ein sehr zweischneidiges Schwert. Es verlangt weise zu unterscheiden, wo Grundwerte des Cohousingprojektes berührt werden, oder wo es um nachrangige Themen geht.

Initiatoren gründen ja Projekte, weil sie für bestimmte Inhalte brennen. Wenn für den Initiator z.B. eine intensive Nachbarschaft das Essentielle ist, braucht es dafür eine entsprechende Architektur und eine gewisse Größe der Gemeinschaftsräume. Dafür lohnt es sich dann einzutreten. Aber an anderen Stellen z.B. ob es nun eine Werkstatt gibt oder eine Sauna, ist es nicht förderlich, das letzte Wort haben zu wollen.

Wenn Grundwerte der Initiatoren berührt sind und der Rest der Gruppe in eine andere Richtung gehen will, kann das letztlich zum Ausstieg der Initiatoren führen. Dies ist etwas, wovor Initiatoren auch Angst haben, weil sie bis zu diesem Zeitpunkt oft schon viel Herzblut, Zeit und eventuell auch Geld investiert haben. Das kann dazu führen, dass sie es vermeiden Macht und Verantwortung wirklich zu teilen. Das ist sehr riskant. Die Erfahrung lehrt, dass die Gruppenmitglieder dies auf die Dauer nicht hinnehmen.

Die waren sozusagen wie besorgte Eltern und dieses Projekt war ihr Kind. Und einerseits haben sie dauernd gejammert, dass sie überfordert sind und dass sie nicht genug Unterstützung kriegen und andererseits wollten sie aber alles bestimmen. Und man war dann nur so eine Art Handlanger, also geduldeter Handlanger, ja? Das hat einen Aufstand dann irgendwann gegeben.

Der Aufstand kommt in dem Moment, wenn die Gruppenmitglieder es wagen können. Sie können es in dem Moment wagen, wenn ihr Verbleiben in dem Projekt und die Umsetzung des Projektes nicht mehr dadurch gefährdet ist. Ein typischer Zeitpunkt kann z.B. die Vollendung des Gebäudes sein. Eine zweite typische Rahmenbedingung ist die Überführung der zuerst informellen Organisation in eine Rechtsform, wo die Abwahl des Vorstandes (Verein), oder die Abwahl der Geschäftsführung (GbR) rechtlich möglich ist.

Was können Initiatoren tun, damit es gut läuft? Hierzu gibt es zwei Aspekte. Der erste und wesentliche Aspekt hat mit der inneren Haltung zu tun. Hilfreich ist eine innere Haltung des Zu- und Vertrauens in andere Beteiligte und auch des Loslassens von festen Vorstellungen, wie etwas in der Umsetzung genau aussehen soll.

Ich hatte einfach Vertrauen. Man kannte sich inzwischen auch ein wenig. Es ist gut als Initiator am Anfang Energie reinzugeben, einen gemeinsamen Visionsprozess zu initiieren wie z.B. Dragoon Dreaming und dann die Kugel rollen zu lassen. Auch damit zu leben, dass Entscheidungen anders aussehen, als man es alleine gewollt hätte.

Der zweite Aspekt hat mit der Entwicklung der Kultur der gemeinsamen Entscheidungsprozesse zu tun. Wir haben über die Soziokratie, als eine mögliche Methode gesprochen. Es geht aber über die Technik einer Methode hinaus. Es geht um die Kultur, die gemeinsam kreiert wird.

Wenn Sie konsequent die Kreismoderation anwenden, schaffen Sie eine gute Basis. Sie machen Erfahrungen, wie es ist, wirklich alle Meinungen zu hören und daraus eine gemeinsame Lösung sich entwickeln zu lassen. Sie erfahren, dass es funktioniert. Dass Sie gemeinsam etwas Besonderes kreieren, was Sie als einzelner nicht hinbekommen hätten. Es entsteht Freude und Zutrauen in diesen Momenten, wo es gut gelingt. Dass ist der Nährboden auf dem gemeinsam eine hilfreiche Kultur kreiert wird. Es ist leichter, wenn der Initiator dies auch innerlich mit verkörpert und vorlebt.

Wie Befriedung gelingen kann

Wenn es schiefgegangen ist und der Initiator im Konflikt abgewählt wurde, ist das eine schwierige Situation für alle Beteiligten. Für den Initiator oder das Initiatorenpaar ist es sehr schmerzlich. Sie haben sozusagen alles gegeben und werden von der Gruppe abgesetzt. Von der Gruppe, für die sie in ihren Augen sehr viel getan haben, für die sie über Monate oder auch Jahre ihre gesamte freie Zeit aufgewendet haben und vielleicht sogar eigene berufliche Ambitionen in der Zeit zurückgestellt haben.

Ja, es war für mich eine heftige Ohrfeige, also, ich war da doch sehr verärgert, muss ich sagen, sehr enttäuscht auch … und … Die Wut, die da in einem steckt, ist erst mal ganz schön groß.

In diesem Moment entsteht erstmal Sprachlosigkeit und der Kontakt bricht ab. Oft ziehen sich dann die Initiatoren in ihre eigenen vier Wände im Cohousingprojekt zurück oder gehen ganz. Diese Sprachlosigkeit kann bleiben und zu einer Verhärtung führen, oder es entwickelt sich etwas von Großzügigkeit und aufeinander zugehen. Dies hängt auch von einzelnen Personen ab, die den Kontakt neu suchen und Türen wieder öffnen.

Was mir dazu geholfen hat, ist eigentlich, indem ich mit einzelnen Leuten dann wieder enger in Kontakt gegangen bin … Das hat mir sehr gutgetan oder wo ich gemerkt habe, dass einzelne dann auch auf mich zugekommen sind, einfach, dass ich gemerkt habe, meine Arbeit war jetzt nicht umsonst, sondern die ist auch schon anerkannt.

Es ist ein zweiseitiger Prozess zwischen der Gruppe und dem Initiator oder Initatorenpaar. Und es ist ein Prozess, der menschliche Größe voraussetzt und auch kreiert. Auch eine neue Qualität in der Gruppe kreiert. Auf beiden Seiten muss verziehen werden. Auch ein gegenseitiges signalisieren, dass man einander nicht mehr böse ist. Dies setzt innere Reife voraus. Entweder entwickelt sich diese Fähigkeit zu verzeihen aus der Situation, oder die Beteiligten bringen dies schon mit:

Und dann habe ich einfach versucht, meinen Groll zu vergessen. Wichtig war dann auch, … wie ich dann gemerkt habe, die sind mir nicht böse oder die meisten sind mir nicht böse oder versuchen auch, sich jetzt wieder irgendwie mit mir zu versöhnen und dann habe ich das auch signalisiert, dass ich daran Interesse habe und bin wieder auf andere zugegangen.

Bei den Mitgliedern der Gruppe passiert ebenfalls etwas. Es gibt dort so etwas wie ein schlechtes Gewissen. Auch wenn keiner der Beteiligten die alten Machtstrukturen wiederhaben möchte. Den Gruppenmitgliedern ist durchaus bewusst, dass sie dem Initiator viel verdanken. Dass sie/er in der Aufbauphase viel geleistet hat, und dass sie/er auch wesentlich dafür war, dass das Cohousingprojekt entstehen konnte. Deshalb tut es der Gruppe gut, wenn eine Befriedung gelingt. Und dies hat etwas mit einer Kultur der Großzügigkeit zu tun.

Sie ist total gelockert und konnte uns verzeihen und sie ist ein anderer Mensch geworden. Mit ihr ist es wunderbar. Die hätte mich gewürgt vor vier Jahren noch. … Und wenn so eine Frau solche Seiten zeigt, dann ist diese Gruppe sofort bereit, also, auf die zuzugehen oder irgendwie sich über die zu freuen, die aufzunehmen und so weiter. Die Gruppe ist eine sehr, würde ich sagen, die ist ein bisschen, ist eine sehr liberale Gruppe, ein bisschen luschig, ja, aber großzügig, eigentlich. Großzügig. Und das muss man einfach sein. Muss man sein.

Die Dauer der Zugehörigkeit

Nicht alle Mitglieder eines Cohousingprojektes sind vom ersten Moment mit dabei. Hier geht es nicht darum, wer vom ersten Monat an dabei ist oder nach einem Jahr dazu stößt, sondern um größere Zeiträume und Entwicklungsschritte. Die Dauer der Zugehörigkeit in der Anfangsphase verwischt sich schnell.

Jedes der Cohousingprojekte hat auch Krisen durchlebt und gemeistert. Wenn Sie gemeinsam dabei waren, teilen Sie einen Erfahrungsschatz. Sie wissen, dass Sie sich aufeinander verlassen können. Sie können sich gegenseitig einschätzen. Sie haben erfahren, dass Sie für die gemeinsamen Werte des Projektes einstehen. Dementsprechend haben Sie Vertrauen zu denjenigen, mit denen Sie diese Phase geteilt haben. Unwillkürlich lauschen Sie deren Worte aufmerksamer. So gilt das Wort der „Alten“ gegenüber der „Neuen“ im ersten Anlauf erstmal mehr.

Es gibt Projekte, die aus Gründen der Machbarkeit eine erste und zweite, oder sogar dritte Bauphase haben. Deshalb kann ein wesentlicher zeitlicher Abstand zwischen dem Eintritt in das Cohousingprojekt liegen. Egal, ob Sie mehrere Bauphasen haben, oder ob es um die Erweiterung der Pioniergruppe auf die endgültige Größe geht, machen Sie sich Gedanken, wie Sie den „Neuen“ gleich eine Chance geben.

Eine Möglichkeit haben Sie bei der Besetzung der Kreise, oder wenn Sie nicht mit Soziokratie arbeiten, bei der Besetzung der AGs. Besetzen Sie diese gleich in einer Mischung aus Alt und Neu. Sie ermöglichen dadurch auch frischen Wind und das Einsickern neuer Ideen. So geben Sie sich gegenseitig eine Chance. Das Sprechen im Kreis, wo jeder nacheinander spricht, ist ebenfalls hilfreich um „Neue“ systematisch zu Wort kommen zu lassen.

Umgekehrt ist es natürlich schon so, dass es besonderes Erfahrungswissen gibt, das die „Alten“ kreiert haben. Damit meine ich nicht die relativ kurzen Zeitabstände zwischen Pioniergruppe und Erweiterung, sondern längere Zeitabstände, wie sie zwischen Bauphasen liegen können, oder wenn ein Cohousingprojekt älter wird.

Da gibt es viele Möglichkeiten, dies Erfahrungswissen lustvoll und kreativ erfahrbar zu machen. Veranstalten Sie z.B. einen Abend mit dem Erzählen von Geschichten, oder richten Sie einen Rat der Weisen ein.

Intensität der Mitarbeit und Fachkompetenz

Grundsätzlich ist es so, dass diejenigen, die viel tun, auch gestalten. Damit haben sie mehr Einfluss als der Rest. Auf ihr Wort wird mehr gehört, weil sie tiefer in der jeweiligen Materie drinstecken. Wenn dies noch mit beruflicher Fachkompetenz gepaart ist, gilt dies umso mehr.

Das Thema Mitarbeit möchte ich hier unter dem Aspekt ‚Verteilung der Arbeit‘ vertiefen. In dem Ungleichgewicht der Verteilung kann bei unglücklicher Gestaltung sehr viel Konfliktpotential stecken.

Bis Sie einziehen können, ist viel Arbeit zu erledigen. Meistens war es so, dass eine Gruppe von 2 bis 5 bis 10 plus x den Löwenanteil der Arbeit getan haben. Dies liegt auch daran, dass die erste Vermutung, dass es mit ein bisschen ehrenamtlicher Arbeit für jeden getan ist, nicht stimmt.

Dann gibt es halt immer wieder Leute, deshalb gibt es Projekte überhaupt, die es schaffen über mehrere Monate oder Jahre, ihre Prioritäten sehr stark auf das Projekt auszurichten. Ohne das geht es nicht.

Wenn Sie sich für die Soziokratie entscheiden, ist es leichter, die Arbeit zu verteilen. Aber trotzdem werden sich Ungleichgewichte in der Verteilung geben. Damit müssen Sie als Cohousingprojekt umgehen.

Die Motivation derjenigen, die viel tun, ist vielfältig. Zum einen wollen sie sehr intensiv, dass das Cohousingprojekt entsteht. Dann ist es die Lust am Gestalten. Es sind die Macher, die die Dinge dann auch in die Hand nehmen.

„Aus Problemen wurden Aufgaben und dann haben wir losgelegt“.

Und wenn es dann holprig wird und sie wenig Wertschätzung aus der Gruppe bekommen, weil einige zwar wenig tun, aber das Gefühl haben, es wird über ihren Kopf entschieden, ist es das Pflichtgefühl, jetzt nicht den Bettel hinzuschmeißen.

„Das Andere, dann schon auch irgendwo das Pflichtbewusstsein…..Man erfährt nicht immer Wertschätzung und das dann durchzuhalten, ist schon hart. Vielleicht ist es dann manchmal wirklich nur, wenn ich es jetzt bleiben lasse. Dann wird es vielleicht nichts. Das dann doch vielleicht ein paar Leute kommen und sagen “Bitte, tu man noch ein bisschen weitermachen”. Über diesen Punkt wenigstens noch drüber.“

Vier Dinge helfen Ihnen, mit diesem Ungleichgewicht in Ihrer Cohousinggruppe umzugehen. Damit meine ich, dass es Ihren Zusammenhalt in der Gruppe nicht schadet. Dass es ein Gefühl gibt, jeder trägt etwas bei und es ist okay, so wie es ist. Sie nicht denken, einige wenige bestimmen und Sie können nur zuschauen.

Erstens, anzuerkennen, dass es diese Ungleichgewichte gibt. Dass heißt, diejenigen, die aus welchen Gründen auch immer weniger machen, so sein zu lassen. Nicht jeder kann über längere Zeiträume viel ehrenamtlich neben seiner Familie und seinem Beruf machen.

Zweitens, für Transparenz in der Entscheidungsfindung zu sorgen. Damit die Macher auch einen klaren Rahmen haben und den Rest der Gruppe hinter sich wissen.

Drittens, den Machern Wertschätzung zu geben. Sehr wichtig ist die emotionale Wertschätzung. Kein Geld der Welt wiegt diese auf. Aber dies kann auch monetär geschehen. Hierbei denke ich insbesondere an die Bauphase. Selbst wenn Sie eventuell einen externen Projektsteuerer engagieren, braucht es Leute, die die Bauherrenrolle einnehmen.

Ich habe fast jede Nacht bis halb zwei gesessen. Ich kam von der Arbeit, ich hatte es damals sehr gut, ich war oft schon um 13.00 Uhr zu Hause und habe dann wirklich telefoniert und E-Mails geschrieben und Pläne durchgesehen und Gespräche geführt und so weiter. Ich war wirklich, es war wirklich ein Vollzeitjob, muss ich sagen.

Viertens, sorgen Sie für Transparenz im Zeitaufwand. Das Wohnprojekt Wien hat z.B. Arbeitszeitkonten geführt. Das klingt erstmal nach Verwaltungsaufwand, was es auch ist. Aber es lohnt sich auf lange Sicht auf jeden Fall für die Gründungs- und Anfangsjahre. Es ist eine Investition in den Gruppenfrieden.

Wenn Sie solche Arbeitszeitkonten führen, können Sie zum einen gut festlegen, was dass Minimum ist, was jeder beitragen sollte. Dies muss in einem vertretbaren Rahmen sein, den jeder schaffen kann. Und jeder tut etwas für sein Cohousingprojekt. Auch die, bei denen Sie vielleicht denken, die tun gar nichts. Bei den einen ist es sofort sichtbar und andere tun Dinge, die merken Sie vielleicht gar nicht. Wie z.B. die Pflege der Internetseite, die von zuhause passiert und nicht groß auffällt.

Und Sie können über längere Zeiträume für Ausgleich sorgen. Menschen, die für eine gewisse Zeit ganz viel getan haben, sammeln ein Guthaben und können sich dann wieder entspannt anderen Interessen widmen. So kann die Stafette weitergereicht werden.

Gruppendynamik und Sie selbst

Auf meiner persönlichen Entwicklungsreise in den letzten 5 Jahren und bei den Interviews habe ich folgendes gelernt:

Sie werden sich auf dem Weg zu Ihrem Cohousingprojekt verändern. Oder wie ein Interviewparnter sagte

„Lesen Sie auf dem Beipackzettel den Absatz mit den Nebenwirkungen“.

Und genau diese Nebenwirkungen hat mein Gesprächspartner als unerwartetes Geschenk bezeichnet. Die Möglichkeit sich weiter zu entwickeln. Verlassen können Sie sich darauf, dass all das, was Ihnen bisher in Beziehungen schwergefallen ist, Ihnen auch in Ihrem Cohousingprojekt begegnen wird. So wie Sie sich selbst mitnehmen, wenn Sie in ein Flugzeug steigen, um in einem anderen Land neu anzufangen.

Es ist ein persönliches Lernen miteinander. Es braucht die Bereitschaft, auch über den eigenen Schatten zu springen. Das muss man wollen. Sonst geben Sie auf dem Weg enttäuscht auf und bezichtigen für die Enttäuschung die Anderen. Lernen Sie miteinander!

Um diesen Weg gut gehen zu können, hilft die Großzügigkeit des Herzens. Die Bereitschaft sich in andere Menschen zu versetzen. Den eigenen Blickwinkel in Frage zu stellen und zu erweitern.

Dies ist eine große Chance. Dabei auch zu neue Ufer aufzubrechen. Hilfreich ist auch, sich dabei punktuell begleiten zu lassen, so dass diese magischen Momente entstehen, in denen im Miteinander Befriedung und Weite entsteht. Wo Sie dann wissen: hier bin ich richtig und wir schaffen das. Dabei hilft auch profanes Wissen über Dynamiken und Methoden.

Zuletzt aktualisiert am 9. März 2018