Vision
- Warum ist eine gemeinsame Vision wichtig?
- Wie kann eine Vision entwickelt werden?
- Woran können Sie die Qualität Ihrer Vision erkennen?
- Wann wird die Vision entwickelt?
- Haben die befragten Cohousingprojekte systematisch gemeinsam eine Vision entwickelt?
- Zusammenfassung
„Wenn Du ein Schiff bauen willst, dann trommle nicht Männer zusammen um Holz zu beschaffen, Aufgaben zu vergeben und die Arbeit einzuteilen, sondern lehre die Männer die Sehnsucht nach dem weiten, endlosen Meer.“
Antoine de Saint-Exupery
(Werk: Die Stadt in der Wüste / Citadelle)
Warum ist eine gemeinsame Vision wichtig?
Die Vision beschreibt in 3 bis 4 Leitsätzen die inhaltliche Ausrichtung des Cohousingprojekts. Diese Sätze sind Ihre Orientierung, Ihre Sehnsucht „nach dem weiten, endlosen Meer“. Gemeinsam diese Ausrichtung zu kreieren, ist eine sehr kraftvolle Angelegenheit.
Aus diesem Prozess schöpft die Gruppe Motivation und es gibt ihr eine gemeinsame Ausrichtung. Es ist die Basis des gemeinsamen Handelns in die gleiche Richtung. Es gibt den Wind unter die Flügel, um in die gleiche Richtung zu fliegen. Auch um durchzuhalten, wenn es mal nicht so einfach ist. Und solche Zeiten werden auch kommen.
Wie kann eine Vision entwickelt werden?
Es gibt eine Fülle bewährter Methoden mit einem partizipativen Ansatz. Partizipativer Ansatz heißt, dass alle gemeinsam die Vision entwickeln. Für den Visionsworkshop sollten Sie sich 2-3 Tage Zeit nehmen und gemeinsam wegfahren. Insbesondere das Übernachten, bei dem jeder im Schlaf Eindrücke verarbeitet und diese sich auch über Nacht sortieren, ist hilfreich für die gemeinsame Kreation des Neuen.
Für den Visionsprozess nehmen Sie eine externe Prozessbegleitung. Alleine geht es nicht. Weil viele Wege nach Rom führen, lassen Sie die externe Prozessbegleiterin Ihrer Wahl mit Ihren bewährten Methoden arbeiten. Für die Auswahl einer Prozessbegleiterin brauchen Sie ein kleines Komitee, das diese Beauftragung steuert. Auf keinen Fall sollte nur eine Person, in ihrem stillen Kämmerlein die Entscheidung über die Auswahl des Prozessbegleiters treffen.
Ein guter Prozessbegleiter wird mit dieser kleinen Gruppe ein Auftragsklärungsgespräch führen. In diesem Auftragsklärungsgespräch sprechen Sie über die Vorgeschichte und die Erwartungen, die Sie an den Visionsprozess haben, führen. Dieses Auftragsklärungsgespräch sollte mit der ganzen Vorbereitungsgruppe (Komitee) geführt werden, damit die Prozessbegleitung gleich unterschiedliche Blickwinkel mitbekommt.
Auf der Basis des Auftragsklärungsgesprächs wird sie/er ein Ablaufvorschlag für den 2 -3- tägigen Visionsworkshop machen. Diesen Ablauf sprechen Sie gemeinsam durch und passen ihn eventuell nochmal an. Ideal hierfür ist ein Face-Face-Termin mit der Vorbereitungsgruppe. Laden Sie ruhig auch alle weiteren Interessierten, über die Vorbereitungsgruppe hinaus, ein. Gestalten Sie die Auswahl Ihrer Prozessbegleitung und die Vorbereitung Ihres Visionsworkshops so offen und transparent wie möglich. Das ebnet den gemeinsamen Weg.
Woran erkennen Sie, ob der vorgeschlagene Ablauf für den Visionsworkshop gut ist? Auf folgende Dinge würde ich an Ihrer Stelle achten. Es gibt so etwas wie eine Basischoreographie bestehend aus vier Phasen für einen guten Visionsworkshop:
Phase 1 Entwerfen: Dies ist die Geburtsstunde der Leitsätze. Die Zukunft wird geträumt. Es ist wichtig, dass Bauch und Herz und Kreativität angesprochen werden. Zum Beispiel durch Malen, Collage, Sprechstabrunde, Musik und Bewegung.
Phase 2 Konkretisieren: Jetzt wird es konkreter. Es ist genug Zeit vorgesehen, um die Leitsätze mit Inhalt zu füllen. Welche konkreten Ziele und Maßnahmen verbinden Sie mit den Leitsätzen? Was macht die Leitsätze lebendig?
Phase 3 Transfer in die Umsetzung: Zum Abschluss haben Sie genügend Zeit, um die Weiterarbeit zu organisieren: Wer wird wann und mit wem an welchem Leitsatz mit den konkreten Zielen und den Maßnahmen weiterarbeiten?
Phase 4 Würdigen: Es ist Zeit zum Reflektieren und zum Feiern vorgesehen.
Ein weiteres Kriterium für die Einschätzung des Designs ist, ob ein sinnvoller Wechsel zwischen Einzelarbeit, Zweierarbeit, Arbeit in Arbeitsgruppen und im Plenum vorgesehen ist. Nichts ist ermüdender, als 2 bis 3 Tage gemeinsam im Plenum zu sitzen.
Woran können Sie die Qualität Ihrer Vision erkennen?
Wirksame Visionen erfüllen unabhängig vom Inhalt vier Kriterien.
- Die Vision besteht aus maximal 3 bis 4 Leitsätzen
- Es gibt eine Beschreibung, die die Leitsätze mit Inhalt füllt
- Alle weiteren inhaltlichen Entscheidungen werden aus diesen Leitsätzen abgeleitet
- Die Leitsätze werden gemeinsam entwickelt
Zu 1 Die Vision besteht aus maximal 3 bis 4 Leitsätzen:
Maximal ist das entscheidende Wort. Zusammen ergeben die 3 bis 4 Leitsätze/Überschriften das Profil des Cohousingprojektes. Jeder dieser Sätze steht für ein übergeordnetes Ziel, beispielsweise „Nachhaltig Leben“ und muss konkret in die Praxis umgesetzt werden, damit es keine leere Worthülse bleibt. Dies gelingt umso leichter, wenn Sie sich auf die Themenfelder konzentrieren, die allen Beteiligten auch wirklich wichtig sind und den Wesenskern Ihres Projektes ausmachen.
Zu 2 Es gibt eine Beschreibung, die die Leitsätze mit Inhalt füllt:
Beschreiben Sie konkret, was Sie mit den Leitsätzen/Überschriften meinen. Beispiel: Wenn für Ihr Cohousingprojekt das Themenfeld „Nachhaltigkeit“ wichtig ist, dann sollten Sie als Gruppe die Frage beantworten, was sie konkret damit meinen. Unten finden Sie in zwei Schaukästen die Vision eines Berliner und eines Wiener Projektes. Diese beiden Beispiele machen deutlich, dass z.B. in dem Themenfeld Nachhaltigkeit sehr unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt werden können.
Beispiel Klimasolarhaus Berlin
Nachhaltigkeit: Die GbR Gruppe setzt auf den Baustandard eines Passivhauses und auf die Versorgung mit erneuerbaren Energien. Sie leistet so einen Beitrag zur Schonung von Ressourcen und zum Klimaschutz. Weitere ökologische Einrichtungen sind eine Regenwasserzisterne im Garten und eine Grauwasseranlage im Haus. Wir hatten den zweiten Punkt, das ist auch in der Teilungserklärung drin, gemeinschaftliches Zusammenleben. Die Baugruppe versteht sich nicht nur als Zweckgemeinschaft. Sie wird später als Hausgemeinschaft selbstbestimmtes Wohnen und gleichzeitig gutnachbarschaftliches Miteinander ermöglichen. Aus diesem Grund wird es verschiedene Gemeinschaftsflächen geben, den Garten, einen großen Raum im Erdgeschoss sowie einen Erker als Treffpunkt im vierten Stock. Und drittens, generationenübergreifendes Wohnen. Singles, Paare und Familien mit Kindern leben alle unter einem Dach. Durch barrierefreies Bauen sollen Menschen mit Beeinträchtigungen und insbesondere auch Menschen im Alter möglichst lange selbstständig wohnen können. Die Planung des Gemeinschaftsgartens berücksichtigt Bedürfnisse der verschiedenen Altersgruppen.
Also, das war so der Nenner, wo sich alle treffen konnten.
Quelle: Interview Klimasolarhaus
Beispiel Wohnprojekt Wien
Individualität in Gemeinschaft leben
Individualität in Gemeinschaft leben bedeutet für uns, die persönliche Entfaltung durch Gemeinschaft und eine lebendige Nachbarschaft zu unterstützen. Wir laden die Vielfalt in unsere Gemeinschaft ein und lernen an Konfliktenn. Unsere Haltung zur Gemeinschaft ist von Interesse, Vertrauen und Verstehen-Wollen geprägt. Wir leben in Achtsamkeit, schauen auf unsere eigenen Werte & Bedürfnisse und respektieren die der anderen. Dabei sind wir offen, das Erleben mit allen Sinnen hereinzuholen.
Eine Keimzelle der Nachhaltigkeit sein
Als Keimzelle der Nachhaltigkeit beziehen wir die Auswirkungen unserer Handlungen so gut wie möglich in unsere Entscheidungen ein. Wir verbinden Genuss und sparsamen Gebrauch von Ressourcen. Bewusster Konsum ist unser Ziel. Dabei ist die Balance von Geben und Nehmen wichtig. Wir sind in gutem Austausch mit Projekten und Initiativen, verwirklichen unsere Vision und geben unsere Erfahrungen weiter. Konkret setzen wir uns für die Entwicklung unseres Grätzels ein.
Lebendige Räume erschaffen
Die kommunikative Architektur unseres Hauses erlaubt es uns, Räume lebendig zu gestalten. Die gemeinsamen Räume bieten uns Geborgenheit und Ruhe, vielfältige Begegnungen und Platz für das Ausdrücken unserer Kreativität. Diese scheinbar gegensätzliche Pole ergänzen einander und stärken uns auf vielen Ebenen. All diese inneren und äußeren Räume bespielen wir lustvoll, gestalten sie immer wieder neu und pflegen sie liebevoll. So füllen wir Räume mit Leben.
Das gute Leben wagen
Wir schätzen in Dankbarkeit, was wir haben. Wir leben so, dass sich unser Leben sehen lassen kann: verantwortlich, vorausschauend und voller Vertrauen. Wir verstehen es, zu feiern und zu genießen. Die Kunst des guten Lebens liegt für uns in der Mitte: Zwischen Genuss, Verantwortung und Mut, Neues zu probieren.
Die Überschrift „Nachhaltigkeit“ des Klimasolarhauses und auch der formulierte Satz des Wohnprojektes Wien „Eine Keimzelle der Nachhaltig sein“, ergeben erst durch die zusätzlichen Erläuterungen ein aussagekräftiges Bild.
Aus den Erläuterungen wird deutlich, dass Nachhaltigkeit mit unterschiedlichen Inhalten belegt wird. Den Bewohnern der beiden Cohousingprojekten sind unterschiedliche Inhalte wichtig.
Zu 3 Alle weiteren inhaltlichen Entscheidungen werden aus diesen Leitsätzen abgeleitet:
Schauen Sie nochmal auf die Checkliste für die Pioniergruppe im Cohousingprojekt. Eine Vision wird dann lebendig, wenn diese für alle weiteren Schritte handlungsleitend ist. Bei jeder Ihrer Entscheidungen sind die Leitsätze dabei.
Beispiel 1: Das Cohousingprojekt will Nachhaltigkeit im Sinn von Schonung der Umwelt und Verringerung des ökologischen Fußabdrucks fördern. Dies hat Auswirkungen auf das Energiekonzept des Hauses, die Baumaterialien und eventuell auch auf die geplanten individuellen Wohnungsgrößen im Verhältnis zu den Gemeinschaftsflächen.
Beispiel 2: Das Cohousingprojekt möchte ein intensives Miteinander fördern. Hieraus folgt z.B. die Planung eines höheren Prozentsatzes an Gemeinschaftsflächen, als bei einem geringeren Anspruch. Auch die Architektur wird davon beeinflusst. So können z.B. die Flure so geplant werden, dass sie Begegnungsräume im Alltag sind.
Wann wird die Vision entwickelt?
Die Vision gehört an den Anfang des konkreten Planungsprozesses. Der erste Visions- und Planungsworkshop ist das Initiationsritual für die Pioniergruppe. Damit geht es los!
Wenn dann nach einiger Zeit alle Mitglieder an Bord sind, sollte die Vision erneuert werden. Bis zur fertigen Konzeptentwicklung, inklusive der Reservierung des Grundstücks, vergeht ein Zeitraum von mehreren Monaten und länger. Die Menschen, die nach diesem Zeitraum dann neu hinzukommen, waren an der Entwicklung des Konzeptes und dem dabei stattfindenden Verständigungsprozess nicht beteiligt. Sie kommen zu dem Cohousingprojekt, weil sie das Konzept gut finden. Trotzdem ist es etwas anderes, ein Konzept gut zu finden, als selber bei der Formulierung beteiligt gewesen zu sein. An dieser Stelle wird es heikel für die gemeinsame Identität als Gruppe.
Die Pioniergruppe muss also etwas Heroisches tun. Im Vertrauen darauf, dass die Neuen in die gleiche Richtung wollen, muss Ihre Pioniergruppe die Größe haben, die Vision, d.h. konkret die Leitsätze nochmal zur Disposition zu stellen. Es erschafft eine andere Qualität von Gruppenidentität, wenn die Leitsätze gemeinsam nochmal auf den Prüfstand gestellt werden, und zum zweiten Mal ein gemeinsamer Prozess stattfindet.
„Es wurde alles zur Disposition gestellt und da haben sich auch die ersten drei Sätze ein bisschen verändert aber es hat sich gezeigt, dass also vor allem zwei davon so stark waren, dass man gesagt hat, das lassen wir einfach…. Und da ist dann der vierte Satz dazu gekommen: „das gute Leben wagen“ und aus der „lebendigen Architektur“ sind „die lebendigen Räume“ geworden…. Das war ein Prozess über ein halbes Jahr, wo immer wieder auch Großgruppen beteiligt ware, aber es gab ein kleines Redaktionsteam und es gab ein Prozessteam. Es war ziemlich durchdacht. Wie glaube ich die meisten Dinge bei uns ziemlich durchdacht sind, auch das war ziemlich durchdacht“
Zitat Wohnprojekt Wien.
Haben die befragten Cohousingprojekte systematisch eine Vision entwickelt?
Die wenigsten der befragten Cohousingprojekten haben so einen systematischen Visionsprozess durchlaufen. Viele haben Kennenlernwochenenden gemacht und sich dabei insbesondere über die miteinander gewünschte Intensität des Miteinanders verständigt. Darüber hinaus wurde in jeder Cohousinggruppe immer wieder an geeigneter Stelle über die Ausrichtung gesprochen und sich verständigt.
Einen systematischen Prozess, wie eben skizziert, mit einem Visionsworkshop in der Pioniergruppe als Startpunkt und erneuter zur Diskussionsstellung der Vision bei Erreichen der endgültigen Gruppengröße, war die Ausnahme.
Aber die Cohousinggruppen, die so systematisch vorgegangen sind, hatten weniger Wertekonflikte und Reibungsverluste. Dies liegt daran, dass eine nachträgliche Klärung der grundsätzlichen Ausrichtung im geringeren Umfang notwendig wird. Aufgrund des durchdachten Vorgehens waren sie nach meiner subjektiven Einschätzung auch inhaltlich besonders erfolgreich. Durch die intensive inhaltliche Beschäftigung mit dem, was sie wollen, war mehr miteinander möglich.
Zusammenfassung
Die Vision gibt Ihrer Cohousingprojekt die gemeinsame Ausrichtung, den Wind unter den Flügeln. Sie wird gemeinsam mit allen Mitgliedern der Pioniergruppe entwickelt. Die Vision steht am Anfang des konkreten Planungsprozesses. Aus den Leitsätzen der Vision leiten sich Ihre konkreten Ziele und alle weiteren Entscheidungen ab.
Nach Erweiterung auf die gewünschte Größe der Cohousinggruppe sollten die Leitsätze der Vision nochmal von allen Bewohnern auf den Prüfstand gestellt werden. Nur so entsteht eine gemeinsame Ausrichtung aller Bewohner. Es braucht diese Freiheit. Dieser Prozess sollte durch eine interne Organisationsentwicklungsgruppe und punktuell durch eine externe Prozessbegleitung professionell begleitet werden. Es lohnt sich, diesen Weg gut gestaltet zu gehen.
Zuletzt aktualisiert am 21. März 2018